Am 9. März beteiligten sich Frauen von Via Campesina und der
Bewegung der Landlosen Arbeiter (MST) an Protestaktionen, die überall
in Brasilien stattfanden. Mit diesen 'direkten Aktionen' wurde des
internationalen Frauentages gedacht. Die Aktionen richteten sich gegen
die kontinuierliche Unterstützung der brasilianischen Regierung für das
multinationale Agrobusiness im Land.
In mehr als acht Bundesstaaten kam es zu Protesten. In Brasilia
marschierten 800 Frauen zum Landwirtschaftsministerium. Im Bundesstaat
Rio Grande do Sul besetzten 700 Frauen eine Plantage des
Zellstoffkonzerns Votorantim. In Espírito Santo kamen fast 1300 Frauen
im Exporthafen des Zellstoffkonzerns Aracruz zusammen. In Sao Paolo
besetzten fast 600 Frauen die Cosan-Plantage, wo die größte
Agroäthanol-Fabrik der Welt steht.
Die Aktionswelle in ganz Brasilien fand weniger als zwei Monate nach
dem 25. Geburtstag der Landlosenbewegung MST statt. "Als die MST
startete, waren die großen Landbesitzer unsere Hauptgegner", sagt Ana
Hanauer, Sprecherin der MST im südlichsten Bundesstaat Rio Grande do
Sul. "Heute sind die multinationalen (Agro-)Konzerne unsere
Hauptfeinde. Sie übernehmen Land, das für die Agrarreform genutzt
werden sollte".
Die internationale Finanzkrise trifft den Sektor der industriellen
Landwirtschaft Brasiliens hart. Allein seit Dezember 2008 gingen 100
000 Arbeitsplätze verloren. Die brasilianische Regierung hat
Investitionen in Höhe von $20 Milliarden Dollar für diesen Sektor
vorgesehen - über die nächsten drei Jahre verteilt. Doch die Vertreter
von Via Campesina beschweren sich: Die Gelder und das Land sollten
genutzt werden, um die Agrarreform und die kleinbäuerliche
Landwirtschaft voranzubringen und nicht als Auslöse für große
Geschäftsleute.
Die Mitglieder der MST in Südbrasilien sind besonders empört, weil
die brasilianische Regierung dem Zellstoffkonzern Votorantim
Staatskredite vergab, um einen signifikanten Teil des untergehendem
Konkurrenten Aracruz-Zellulose zu kaufen. Durch das zusätzliche Land
von Aracruz kommt Votorantim insgesamt auf mehr als eine Million Hektar
Anbaufläche. Laut Votorantim wird das zu einer Produktionskapazität von
5,8 Millionen Tonnen Zellstoff pro Jahr führen.
Der Anbau des Eukalyptus (Rohstoff für Zellulose, die zu Papier und
Papierprodukten verarbeitet wird) in Monokulturen führe zur Zerstörung
natürlicher Lebensräume, so die MST, zudem gehe die oberste
Bodenschicht verloren, es komme zur Wüstenbildung. Die Umweltzerstörung
ist einer der Gründe für die Besetzung der Votorantim-Plantage 'Ana
Paula' in Rio Grande do Sul durch 700 Frauen.
Die MST entstand in den späten 70ger und frühen 80ger Jahren aus dem
Kampf um Land im südlichen brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do
Sul. Innerhalb der letzten drei Jahrzehnte wuchs die Bewegung und
entwickelte sich in 24 der 26 brasilianischen Bundesstaaten.
Mittlerweile verfügt die MST über 35 Millionen Acres (3 Acres
entsprechen circa einem Hektar), auf denen bis jetzt fast 400 000
MST-Familien angesiedelt werden konnten.
Bis heute kommt es in Rio Grande do Sul regelmäßig zu Protesten. Das
liegt vor allem an der langen Geschichte der Organisation in der Region
und an der Tatsache, dass in diesem Bundesstaat weiterhin eine kleine
Elite große Plantagen besitzt. Im Dezember konnte die Bewegung in
diesem Bundesstaat einen großen Sieg erringen. Es gelang ihnen, 700
Familien auf Land anzusiedeln, das die Landbesitzer seit Jahrhunderten
brutal verteidigt hatten.
Bei der Besetzung der Plantage von Votorantim kam es zum Einsatz der
Nationalgarde. Eines Tages kam sie, um die Proteste abzubrechen. Die
Behörden verhafteten hunderte Frauen von Via Campesina bzw. MST. Die
Aktivistinnen wurden ohne Nahrung festgehalten, während die Soldaten
ihr improvisiertes Lager zerstörten.
Die Behörden stellten die Personalien der Frauen fest. Nun wird
befürchtet, dass die Regierung die Informationen künftig nutzen könnte,
um Aktivistinnen und ihre Familien zu verfolgen. Eine Sprecherin von
MST Rio Grande do Sul sagt, die Verhaftungen seien Teil einer
zunehmenden Unterdrückungskampagne des Gouverneurs des Bundesstaates.
Er heißt Yeda Crusius und ist Mitglied der zentristischen Partei PSDB.
Im Juni letzten Jahres erreichte die Kriminalisierung der Bewegung
einen neuen Höhepunkt, als das Justizministerium des Bundesstaates Rio
Grande do Sul die "Auflösung" der (Landlosen-)Bewegung im ganzen
Bundesstaat forderte. Die Bewegung bekam das Etikett "Bedrohung für die
nationale Sicherheit". Die Repression dauert weiter an.
Die Regierung des Bundesstaates Rio Grande do Sul unter Yeda Crusius
drängt auf eine Schließung der weltberühmten Wanderschulen, die überall
in den MST-Camps des Bundesstaates zu finden sind. Die Nationalgarde
des Bundesstaates zögerte nicht lange und ging mit
Einschüchterungsversuchen, Verhaftungen und Repression gegen die MST
und andere Sozialbewegungen vor. Bei den Feiern zum 25. Geburtstag der
MST im Januar beobachtete ein Hubschrauber der Landespolizei die
Geschehnisse von oben aus. Die Militärbrigade von Rio Grande do Sul
errichtete einen Checkpoint, wo jene, die an dem Ereignis, das in der
MST-Siedlung stattfand, teilnehmen wollten, durchsucht wurden. Ihre
Namen wurden registriert.
Die Frauen, die bei der Besetzung der Plantage 'Ana Paula' verhaftet
wurden, kamen noch am selben Abend frei. Am nächsten Tag marschierten
sie trotzig in die nahegelegene Großstadt Bagé, wo sie Flugblätter
verteilten, in denen über die negativen Folgen der
Eukalyptus-Monokulturen informiert wurde, über die Zellulosekonzerne
und das brasilianische Agrobusiness.