Illegale Töne
Warum Diktatoren Musiker fürchten
| Die radikalste Zensur in der Musik übten die Taliban aus: Als sie Mitte der
Neunzigerjahre in Afghanistan die Macht übernahmen, verboten sie schlichtweg
jede Musik als "unislamisch". Instrumente wurden verbrannt und Musiker bestraft,
weil sie auf privaten Hochzeiten gespielt hatten. Und wenn den Sittenwächtern
der Taliban eine Musikkassette in die Hände fiel, rissen sie die Bänder heraus und drapierten sie am nächsten Baum, zur
Mahnung. |
Seit dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2002 strömen viele
afghanische Musiker wieder aus dem Exil zurück, und mit ihnen Filme und Schlager
aus dem Ausland, vor allem aus Indien. Doch im staatlichen Fernsehen herrscht
noch immer Zensur. Als im Januar 2004 erstmals Aufnahmen einer afghanischen
Sängerin aus den Siebzigerjahren ausgestrahlt wurden, gab es einen Eklat:
Manchen der neuen Machthaber in Kabul ging diese neue Freiheit dann doch zu
weit.
Löcher im Netz
Schon immer stand Musik unter Druck,
wenn sie nicht den bestimmten Moralvorstellungen oder der herrschenden Ideologie
entsprach. Das galt in Nazi-Deutschland für den Jazz aus den USA, der als
"Negermusik" denunziert und als "undeutsch" verboten wurde. Das war ähnlich bis
zum Ende des Kommunismus im gesamten Ostblock. Dort florierte zwar, wie im
Westen, eine Rockszene, doch sie litt unter der Repression der kommunistischen
Regimes. Noch 1984 wurden in der ehemaligen Sowjetunion per Erlass des
Kulturministeriums insgesamt 41 Bands mit einem Auftrittsverbot belegt, sowie
jede Musik zensiert, "die Propaganda macht für Ideale und Haltungen, die unserer
Gesellschaft fremd sind." Welche Musik das war, bestimmte natürlich der Staat.
Zensur ist ein klassisches Kennzeichen von Diktaturen. Sie fürchten das
subversive Potential, das Musik als Medium einer unterdrückten Bevölkerung haben
kann. Oft hat Musik für den politischen Widerstand eine größere Rolle gespielt
als etwa die Literatur oder Malerei. Musikalische Zensur in Diktaturen lässt
sich durch Schallplatten oder Kassetten, die über die Grenze geschmuggelt
werden, unterlaufen. Und durch Satelliten-TV und Internet ist eine lückenlose
Zensur in den meisten Ländern heute sowieso kaum aufrecht zu erhalten. Aber
Auftrittsverbote können immer noch ganze Musikszenen in den Untergrund drängen:
So etwa in China die Rockmusik, die vom Regime misstrauisch beäugt wird.
Auch demokratische Staaten zensieren Musik. Das gilt vor allem für Länder,
die mit unliebsamen politischen Bewegungen zu kämpfen haben. In der Türkei etwa
war die kurdische Sprache bis Mitte der Neunzigerjahre offiziell verboten.
Populäre kurdische Musiker emigrierten ins Exil, wo sie ihre Platten aufnahmen,
für deren Besitz man in der Türkei mit Strafe rechnen musste. Seit einigen
Jahren kann nun jeder in der Türkei kurdische Musik kaufen, sie wird sogar von
privaten Radiosendern gespielt. Trotzdem stellt sie immer noch ein politisches
Bekenntnis dar.
In Deutschland wiederum ist Musik mit rassistischen und
nazistischen Inhalten verboten, wie auch jede Form von Nazi-Propaganda. CDs von
Neonazi-Bands wie "Störkraft" werden von der "Bundesstelle für jugendgefährdende
Schriften" auf den Index gesetzt, und dürfen nicht verkauft werden. Trotzdem
läuft das Geschäft mit dem Nazi-Rock im Untergrund weiter. Offen nazistische
Propaganda-Musik wird oft im skandinavischen Ausland produziert, und von dort
nach Deutschland versandt.
Tabus und Verbote
Solche
Sensibilität hat historische Gründe. So ist das auch in Korea, das im Zweiten
Weltkrieg unter japanischer Besatzung stand. Aus diesem Grund war japanische
Musik in Korea lange Zeit tabu, und selbst mancher populäre Schlager in
koreanischer Sprache fiel der Zensur zum Opfer, weil die Regierung der Ansicht
war, er gliche zu sehr japanischen Vorbildern. Erst in jüngster Zeit wurde das
Verbot aufgehoben.
In Israel dagegen stößt die Musik von Richard Wagner
auf Ablehnung. Wagner war Antisemit, und galt als Lieblingskomponist von Adolf
Hitler, so wird sein Werk in Israel mit der Ideologie der Nazis identifiziert.
Der deutsch-israelische Dirigent Daniel Barenboim sorgte 2001 für einen Eklat,
als er mit der Staatskapelle Berlin den ersten Akt der "Walküre" in Jerusalem
spielte. Zuvor waren Gegner vor Gericht gezogen, um die Aufführung zu
verhindern.
Kalkulierte Grenzüberschreitung
Zensur ist
stets eine zweischneidige Angelegenheit. Denn was verboten ist, erregt
Interesse. Dass musste die britische BBC erfahren, als sie 1984 den Song "Relax"
von Frankie Goes to Hollywood aus dem Programm seiner Jugendwelle Radio 1 nahm:
Die sexuellen Anspielungen des Songs war ihr zu heikel. Doch die Maßnahme
bewirkte das Gegenteil: Der Skandal machte die Band berühmt und das Stück schoss
an die Spitze der britischen Charts.
In liberalen Gesellschaften mit
einem pluralistischen Mediensystem hat solche Zensur nur noch wenig Sinn: Was in
den dominanten Medien keinen Platz findet, sucht sich eben andere Kanäle wie
Piratensender. Und Streit um einen Song stellen oft die beste Form der Werbung
dar. Nicht zuletzt durch die kalkulierte Verletzung sexueller Tabus haben
Popstars wie Madonna und Robbie Williams ihre Karrieren befördert. Die Empörung
darüber wirkt oft hilflos, denn sie nützt den Künstlern mehr, als dass sie ihnen
schadet.
"Explicit Lyrics" und "Clean"-Versions
Dass zeigt
auch die Karriere des Gangsta Rap, der in den Neunzigerjahren das HipHop-Genre
prägte. Rapper wie Ice-T und Gruppen wie N.W.A. machten auf sich aufmerksam,
indem sie von Sex und Gewalt in den Gettos der USA erzählten. Elternverbände
erwirkten, dass besonders drastische Texte mit einem "Explicit Lyrics"-Aufkleber
auf der CD kenntlich gemacht wurden. Doch das erwies sich als Bumerang, denn
fortan wetteiferten Rapper untereinander um ein möglichst furchterregendes
Image. Um trotzdem auf MTV gespielt zu werden, ohne dass dort ganze Passagen mit
einem "Bleep" überblendet werden mussten, nahmen sie eigens jugendfreie
"Clean"-Versions auf.
Wenn Radio- oder Fernsehsender in liberalen
Gesellschaften wie Deutschland oder den USA sich entscheiden, bestimmte Stücke
nicht zu spielen, dann tun sie das meist mit Rücksicht auf ihr Publikum.
Manchmal üben sie sich in vorauseilender Selbstzensur. Manchmal reagieren sie
erst, wenn es Proteste gibt. Gerade in Zeiten von Krieg und Terror werden die
Grenzen oft enger gesteckt. So standen nach den Anschlägen vom 11. September
2001 viele Künstler unter dem Druck, sich patriotisch zeigen zu müssen. Wer sich
weigerte, bekam die Konsequenzen zu spüren: Radiosender spielten die Songs
dieser Musiker einfach nicht mehr.
Sorry, lieber
Konsument
Eine andere Form von Zensur übt der Markt aus - siehe Janet
Jackson und Justin Timberlake. Während ihrer Show in der Halbzeit des
"Superbowl"-Finales riss Justin Timberlake seiner Bühnenpartnerin das rechte
Bustier vom Leib, woraufhin für Sekunden ihre rechte Brust zu sehen war, dessen
Nippel neckisch mit einem Metallstern beklebt war. Die Einlage bekam den beiden
gar nicht gut: Nach dem Zwischenfall liefen bei den Fernsehgesellschaften, die
Telefone heiß. Der "Super Bowl" gilt in den USA als Familienereignis; Justin
Timberlake und Janet Jackson mussten sich tausendfach für ihren Faux Pas
entschuldigen.
Seitdem werden andere prominente Live-Sendungen in den
USA - wie die Grammy-Verleihung oder die Oscar-Gala - um fünf Minuten
zeitversetzt ausgestrahlt - um den Fernsehsendern genügend Zeit zu lassen, auf
ähnliche Vorfälle reagieren zu können. Solche Zensur erfolgt aus reinem
Geschäftsinteresse: Sie richtet sich nach keinem Gesetz, sondern allein den
moralischen Maßstäben eines Massenpublikums sowie der Werbekunden, welche mit
ihren Reklamespots das Fernsehprogramm finanzieren.
Daniel Bax ist
Musik-Redakteur bei der taz.
Foto: Ole Brömme
www.freemuse.org Die
internationale Organisation "Freedom of Musical Expression", kurz "Freemuse",
hat ihren Sitz in Dänemark. Vergleichbar mit Menschenrechtsorganisationen wie
Amnesty International, macht sie Fälle von Verfolgung und Zensur von Musikern
öffentlich.
Buchtipp:
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Werner Pieper (Hg.): Verfemt - Verbannt - Verboten.
Musik und Zensur, weltweit (Verlag "Der Grüne Zweig", Löhrbach)
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