Die NATO, trojanisches Pferd der Amerikaner?
Nathalie Roller 21.03.2009
Frankreich hatte 1966 unter General de Gaulle die
Kommandostrukturen der Allianz verlassen. Präsident Sarkozy hat nun
beschlossen, wieder Vollmitglied zu werden
Die Position Frankreichs in der NATO ist seit 43 Jahren nicht ganz
klar: Zwar von Anfang an dabei, seit der Gründung der Allianz 1949, ist
die Grande Nation seit der Entscheidung de Gaulles, seine Militärs aus
den Führungspositionen abzuziehen, weder ganz drinnen noch ganz
draußen. Der General gedachte mit diesem Schritt, die völlige
Souveränität seines Landes wiederherzustellen, die er durch die
permanente Präsenz von alliierten Soldaten auf französischem Boden und
im Luftraum bedroht sah. Vor allem aber galt es zu verhindern, dass die
französische nukleare Abschreckung unter ein US-dominiertes
Oberkommando gerate. Der Vater der 5. Republik sah die NATOals "trojanisches Pferd der amerikanischen Interessen in Europa" an.
Frankreichs völlige Rückkehr in die "westliche Familie", wie Präsident
Sarkozy es wünscht und formuliert, soll auf dem kommenden NATO-Gipfel
Anfang April offizialisiert werden. Das Pentagon hat bereits zu diesem
Schritt gratuliert,
und das ehe noch im französischen Parlament die Frage über eine völlige
Rückkehr in die NATO debattiert wurde. Doch war es offenbar auf beiden
Seiten des Atlantiks bekannt, dass die Würfel ohnehin schon längst
gefallen waren: Im Elyseepalast nämlich.
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Am 17. März wurde zwar pro forma eine Parlamentsdebatte
zu dieser "Normalisierung" der Positionierung Frankreichs im
Weltkonzert der Nationen veranstaltet, deren Ausgang aber gewollt
vorhersehbar war. Premier François Fillon hatte nämlich
geschickteerweise die Vertrauensfrage zur Außenpolitik seiner Regierung
gestellt. Wohl wissend, dass die Abgeordneten der Regierungspartei UMP
nicht gegen ihren eigenen Chef stimmen würden. Noch dazu war die Frage
nicht direkt zum NATO-Vollbeitritt gestellt worden. Im Senat wurde erst
gar nicht abgestimmt, denn es galt möglicheGegenstimmen von vornherein zu unterbinden.
Die UMP verfügt nicht über die absolute Mehrheit in dieser Versammlung.
Lieber auf Nummer Sicher gehen also, um dem Willen des Präsidenten
nachzukommen.
Die Rückkehr in die NATO-Kommandostrukturen ist in Frankreich alles
andere als unumstritten. Ein tiefer ideologischer Graben trennt die
sogenannten "Atlantisten" (Proamerikaner) von den "Gaullisten", die das
Erbe des Generals, die Welt auf multipolare Weise zu begreifen,
weitertragen wollen. Diese Erben können sich auch durchaus im linken
politischen Spektrum befinden. De Gaulles NATO-Strategie hat in deren
Augen Frankreich eine besondere Rolle in der Welt zuteil werden lassen:
Eine Brückenfunktion zwischen Ost und West, dem Norden und dem Süden
auszuüben.
An vorderster Front der Gegner der NATO-Pläne des Präsidenten befindet
sich der ehemalige Außenminister Chiracs, Dominique de Villepin, der ja
knapp vor der amerikanischen Invasion in den Irak eine international
für Aufmerksamkeit sorgende Brandrede vor dem UN-Sicherheitsrat
gehalten hatte (Im Namen eines alten Europäers).
Eine Rede, die in bester gaullistischer Tradition gehalten war: "Ich
bin Franzose, und habe daher für mehr Gerechtigkeit in der Welt zu
sorgen."
Dass Frankreich damals keine Truppen in den Irak
entsandt hatte, lag das daran, dass die Grande Nation zu diesem
Zeitpunkt noch nicht ganz in der NATO war, so wie jetzt die Gegner
einer völligen Rückkehr vermeinen? Wohl kaum, hat doch das
NATO-Mitglied Türkei damals den USA das Überflugsrecht verweigert. Und
Deutschland hat bekanntermaßen ebenfalls keine Soldaten in den Irak
gesandt. Trotzdem macht sich die Sorge breit, dass Frankreich seine
Möglichkeit, Nein sagen zu können, mit der Annäherung an die Amerikaner
verlustig gehen könnte . Am Internet zirkuliert zur Zeit eine Petition
von Anhängern der Souveränität, die befürchten, dass die Entscheidung
des Staatschefs Frankreichs Ansehen und internationales Image bleibend
ramponieren könnte.
Der ehemalige sozialistisch Premier Lionel Jospin, stößt ins selbe Horn und warnt,
dass Frankreich seine Unabhängigkeit verlieren und sich "banalisieren"
könne wo man doch die Franzosen als "Originale" akzeptiert habe. Die
französische Linke hat bei der NATO-Parlamentsdebatte, die keine war,
der Regierung natürlich unisono das Vertrauen verweigert.
Der ehemalige sozialistische Premier wird nicht müde; die Vorteile der
bisherigen französischen Position zu unterstreichen, wie es
beispielsweise bei der Kosovointervention ersichtlich geworden sei, bei
der manche Luftschläge von Frankreich verweigert wurden, weil diese als
zu gefährlich für die Zivilbevölkerung erachtet wurden: "Wir haben den
Amerikanern da oft Nein gesagt." Diese Freiheit Nein zu sagen, ginge
durch einen Vollbeitritt eben verloren. Was allerdings nicht verloren
geht, scheint das französische Selbstbewusstsein zu sein. Und das quer
durch alle politischen Lager. Oder doch?
Eine ehemalige Supermacht?
"Es ist hart, der Wahrheit, der bitteren Wahrheit, ins Gesicht zu
sehen: Der Wahrheit, eine Ex-Großmacht gewesen zu sein und zu sein",
wie auf einem Soldatenblog
in Libération zu lesen steht. Aber auch unter Soldaten scheint der
Umstand, Franzose zu sein, Quelle eines unversiegbaren Stolzes zu sein,
wie diesem Blog auch zu entnehmen ist:
Unsere Nicht-Linientreue mit den USA hat uns in den
arabischen Ländern einen besonderen Status eingebracht. Nicht dass
unsere Stimme laut vernehmlich gewesen wäre, sind wir doch in den
letzten 30 Jahren oft genug von der US-Politik marginalisiert worden.
Doch wenn man lokal "auf Kontakt geht", spürt man sehr wohl, dass der
Umstand, Franzose zu sein, uns Sympathien einbringt. Wie oft ist es mir
im Jemen, in Jordanien, in den Emiraten etc. passiert, mit der Frage
"are you americain?" konfrontiert worden zu sein, und sich das Gesicht
meines Gesprächspartners erhellte, sobald ich "No, I'm French"
antwortete. (...) Und dies ist, denke ich, dem Umstand zu verdanken,
dass unsere Außenpolitik nicht von einem "Kampf der Kulturen"
ausgeht.(...) Unsere Reintegration (in die NATO) wird uns teuer zu
stehen zu kommen: Sowohl in Bezug auf unser Image im Ausland, wie auf
den inneren sozialen Frieden.
Doch all diese Bedenken sind in den Augen der französischen Exekutive
natürlich völlig fehl am Platz. Frankreich werde durch die
NATO-Rückkehr nicht zum Vasallen der Allianz, sondern bleibe vielmehr
ein treuer, aber ungehorsamer Alliierter, sagte Premier Fillon. Präsident Sarkozy vermeint
mit diesem Schritt, der Allianz eine stärkere europäische Note
verleihen und fürderhin in den militärischen Ausrichtungen der NATO ein
Wörtchen mitreden zu können.
Doch die kritischen Stimmen im Lande werden wohl nicht so schnell zum
Verstummen gebracht werden können. Der renommierte "Monde diplomatique" stellt
sich die Frage, was Nicolas Sarkozy zu diesem Bruch mit der bisherigen
französischen Außenpolitik geführt haben könnte. Noch dazu, wo doch die
Funktion der nordatlantischen Allianz seit dem Ende des Warschauer
Paktes nicht mehr klar ersichtlich sei:
Geht es darum, 800 französische Offiziere im
NATO-Hauptquartier in Norfolk, Virginia, unterzubringen? Oder geht es
darum, einigen Industriellen des Waffengeschäfts, bekanntermaßen
Freunde Monsieur Sarkozys, zu gefallen, welche darauf zählen, dass eine
Rückkehr Frankreichs in die Ränge es ihnen erlauben wird, mehr
Rüstungsgüter zu verkaufen?
Dass gleich zwei ehemalige UMP-Premierminister, Villepin und Alain
Juppé, gegen diese neue Ausrichtung der Außenpolitik sind, weise darauf
hin, wie gefährlich die Wende für Frankreich sei. Eine Wende, die
länger währen könnte, hat doch Sarkozy, gerade verkündet, dass er ein zweites Präsidentschaftsmandat anstrebt.
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